Der ewige Kreis

Haberl

Blaue Berge, saftig grüne Wiesen, gefleckte Kühe und Kälber – ein Bullerbü mitten im Bayerischen Wald. Genauer gesagt in Eggersberg, einem Lohberger Ortsteil auf der Südseite des Ossers, wo Stefan und Steffi Neumaier, gemeinsam mit ihren drei Töchtern bekannt als Familie Haberl, ihren Waldbauernhof mit Milchkuhhaltung bewirtschaften. Doch die Idylle mit ihrem Kreislauf aus Nehmen und Geben, Anfang und Ende, Wachsen und Sterben gerät ins Ungleichgewicht.

Stefan weiß noch, wann es angefangen hat. Das war während der Energiekrise, die die Leute zwang, sparsam mit ihrem Geld umzugehen. Als die Inflation begann und alles immer teurer wurde. Da wurde immer weniger Bio gekauft. Stefan dachte, der Bio-Trend wäre vorbei, das mit Bio würde sich ganz aufhören.

Stefan ist Biobauer. Gemeinsam mit seiner Frau Steffi bewirtschaftet er den Haberlhof in Eggersberg, einem Ortsteil von Lohberg im Bayerischen Wald.

Sie halten sich an die Naturlandrichtlinien, verpflichten sich also zu nachhaltigem Wirtschaften, Umweltschutz und Tierwohl. Dazu gehört zum Beispiel: Ihre 12 Milchkühe mit Nachzucht kauen nur frisches Gras oder Bio-Getreide, bei dessen Anbau weder Kunstdünger noch chemische Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. Den ganzen Sommer über verbringen die Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum, draußen auf der Weide. Seit 2001 gehört der Haberlhof zu den zertifizierten Naturlandbetrieben – an die Richtlinien halten sie sich schon immer. Schon immer, das heißt seit ca. 350 Jahren.

Ihr Ideal: Nichts kaputt zu machen, der nächsten Generation eine gesunde Natur zu hinterlassen.

2022 war das erste Jahr, in dem der Öko-Umsatz sank. Der Deutsche Bauernverband beklagte ein Umsatzminus von 4,1 Prozent. Schuld daran seien die hohen Preise, die die Verbraucher abschreckten. Dabei seien die Preise für die Erzeuger lange nicht hoch genug. Schließlich stiegen auch die Produktionskosten, die die Bauern für Futtermittel, Kraftstoff und Energie begleichen müssten. Klar, die stiegen auch für konventionelle Betriebe. Doch um den Mehraufwand der Biobauern für Umwelt-, Klima-, Natur- und Tierschutz ordentlich zu entlohnen, müsste der Erzeugerpreis – also das Geld, das die Bauern für einen Liter Milch erhalten – laut Naturland und Bioland bei 67 Cent liegen. Aktuell liegt er bei 57.

Stefan kennt einige Biobauern, die keine Biobauern mehr sind. Die mit der Landwirtschaft aufhörten, weil es sich nicht mehr rentiert hätte. Die Auflagen wären zu streng, die Preise zu hoch, der Lohn zu niedrig. Auch die Tagesschau berichtete im April 2023 von einem Rückgang der Biobetriebe, oft verbunden mit einer Rückkehr zur konventionellen Landwirtschaft.

Warum bleiben Stefan und Steffi trotz allem im Geschäft? Warum nehmen sie den Mehraufwand auf sich, wenn er sich nicht lohnt? Für die beiden lohnt er sich. Nicht auf finanzieller Ebene, dafür auf ideeller. Weil sie neben ihrer Land- auch eine Forstwirtschaft betreiben und drei Ferienwohnungen vermieten, können sie es sich leisten, ihren Hof auf eine Weise zu bewirtschaften, die sich mit ihrem Ideal vereinbaren lässt. Ihr Ideal: Nichts kaputt zu machen, der nächsten Generation eine gesunde Natur zu hinterlassen. Die beiden denken im Kreislauf. Schon anfangs wird das Ende mitbedacht. Weil ihr Hof Natur ist, weil Natur Leben ist und weil Leben immer weitergeht. Weil ihnen die Natur nicht gehört und sie den Hof mit seinen Feldern, Wiesen und Wäldern nur ausleihen. So wie ihn ihre Vorfahren ausliehen und pflegten, um ihn Stefan und Steffi weiterzugeben, so leihen und pflegen nun sie ihn, um ihn an ihre Nachfahren weiterzugeben.

Die beiden denken im Kreislauf. Schon anfangs wird das Ende mitbedacht. Weil ihr Hof Natur ist, weil Natur Leben ist und weil Leben immer weitergeht.

Der Haberlhof sei schon ganz gut aufgestellt – das sei ihr Vorteil und der Grund, warum sie sich das Biosiegel leisten können. Der Strombedarf wird von der eigenen Photovoltaikanlage gedeckt, eine Hackschnitzelheizung sorgt mit Restholz aus dem eigenen Wald für warme Stuben am Hof, in den drei Ferienwohnungen, im Austrags- und im Nachbarhaus. Für die Wasserversorgung beteiligen sie sich beim Wasserverband Eggersberg, der das ganze Dorf versorgt.

Stefan blickt unsicher in die Zukunft. Er und Steffi sähen sich in der Verantwortung, ihr Ideal zu erfüllen. Doch es gehe ja nicht nur um ihren Hof. Es gehe um viel Grundsätzlicheres. Die ganze Gesellschaft solle ihren ökologischen Fußabdruck klein halten. So klein wie möglich. Wie können wir das schaffen? Oder: Können wir das schaffen?

Die Haberln sind davon überzeugt, dass jeder seinen Beitrag zu leisten habe: Zum Beispiel, indem man sich regional und saisonal versorge und so Ressourcen und Emissionen beim Transport einspare. Indem man mit System einkaufe, also nicht mehr als das Nötige. Und indem man nicht in den Urlaub fliege.

Laut Duden heißt Verzicht: „auf etwas nicht länger bestehen.“ Man muss also zuerst auf etwas bestehen, um darauf verzichten zu können. Worauf bestehen wir als Gesellschaft? Wenn Stefan und Steffi nicht in den Urlaub fliegen, ist das für sie kein Verzicht. Wer könne schon auf Luxus bestehen? Außerdem blieben sie gern Zuhause. Dieses Jahr waren sie zwei Nächte in Österreich. Das war ihr Urlaub – der erste seit 15 Jahren, und den hatten sie nicht unbedingt nötig.

Obwohl sie täglich um sechs Uhr morgens aufstehen, um auf dem Betrieb zu arbeiten. Genau das sehen die beiden als Privileg: Zuhause zu arbeiten. Stefan möge insbesondere die Waldarbeit.

Ruhe verbunden mit Anstrengung, das mache ihn zufrieden. Die beiden stellen die Frage, die zum nachhaltigen Leben führen solle: Was brauche ich wirklich, um zufrieden zu sein? Die Antwort klingt einfach: „Gar nicht so viel.“

Kann die Lösung so einfach sein? „Einfach ist das natürlich nicht.“ Stefan und Steffi wollen es immer richtig machen und doch sind sie sich nicht immer sicher. Welches Auto sollten sie sich am besten anschaffen? Elektro oder Diesel? Die Entscheidung fiel auf einen VW mit Ottomotor. Ob die richtig war – „das wissen wir nicht.“

Die beiden stellen die Frage, die zum nachhaltigen Leben führen solle: Was brauche ich wirklich, um zufrieden zu sein? Die Antwort klingt einfach: „Gar nicht so viel.“

Manche Eltern fänden es makaber, dass die Rinder geschlachtet werden – essen aber Fleisch. Steffi finde es viel eher makaber, wenn Leute Fleisch äßen und nicht wüssten, wo es herkommt.

.Auf dem Bauernhof ist alles ein Kreislauf: Was gesät wird, wächst, wird geerntet und verarbeitet. Was geboren wird, wächst, stirbt und wird verarbeitet. Das geht immer so weiter. So lange alles im Kreislauf bleibe, alles seinen Sinn hätte – so lange sei alles im Lot

Sie verstehen, dass Städter raus müssten aus der Enge und der Hektik, raus aufs Land. Genau die verbringen ihre Auszeit in Ferienwohnungen auf dem Haberlhof, beim Reiten, beim Lagerfeuer oder beim „Stalldiplom“, das die Urlaubskinder am Ende ihrer Reise ablegten. Nachher wissen sie ganz genau, wie eine Kuh aufwächst, wann eine Kuh Milch gibt und dass eine Kuh geschlachtet und später gegessen wird.