Veitbauer

Der Wald ist kein Büro

Andreas Rossbauer, der Veitbauer, war gerade erst 18 alt, als er nach dem plötzlichen Tod seines Vaters die komplette Verantwortung für Wirtshaus, Hof und Wald übernahm. Damals wie heute heißt Arbeit für ihn: Erholung, Zuhause, Leben. Eine Work-Life-Balance, die sich dem heutigen Zeitgeist entzieht.

Arbeit, Leben, Freiheit – das ist Wald. Jedenfalls für Andreas Rossbauer, auch bekannt als Veitbauer, Gast-, Land- und Forstwirt im Lamer Winkel. Schon in jungen Jahren, als er kaum über das Lenkrad des Traktors blicken konnte, ging er zusammen mit Vater und Großvater in den Wald, um ihnen als Handlanger behilflich zu sein und sich die ersten Handgriffe abzuschauen. So wie andere dem eigenen Führerschein entgegenfieberten, um sich endlich erwachsen zu fühlen, so konnte er es kaum erwarten, mit 15 Jahren das erste Mal mit der Motorsäge selbst Hand anzulegen. Mittlerweile sind gut 15 Jahre vergangen. Er erinnert sich noch genau an die Zeit, in der er durch die harte Schule seines Vaters ging. Vormittags saß er im Klassenzimmer, nachmittags arbeitete er im Wald. Und an den Wochenenden gab es keine Ausrede, auch nicht nach durchzechten Nächten – um sieben Uhr ging der Tag los. Heute ist er darüber froh, schließlich erledigte sich die Arbeit nicht von selbst. Außerdem sei noch kein Meister vom Himmel gefallen: Von Mal zu Mal machte er Fortschritte, mit 16 fällte er seinen ersten Baum.

Veitbauers Leidenschaft und Begeisterung für die Waldarbeit ist nicht zu überhören. Er erzählt von Waldtagen, an denen er sich mit anderen Holzhauern, Freunden, auf den gefällten Baum gesetzt habe, gemeinsam glücklich darüber, dass dieser richtig gefallen und niemandem etwas passiert sei. Genau wie es in „Woidbuama samma mia“, einem alten Volkslied im Lamer Winkel, besungen wird. Dabei nimmt er, nehmen alle Waldbauern und Holzhauer täglich Strapazen auf sich: lange, oft schlechte Wege, schwere Kleidung, gewichtige Maschinen. Ganz schön anstrengend. Kaum vorzustellen, wie mühsam es noch vor 70 Jahren gewesen sein musste, ohne Traktor und Motorsäge Bäume zu fällen und die Stämme aus den Hochlagenwäldern ins Tal zu bringen. Obendrein ist es ganz schön gefährlich, im Wald zu arbeiten. Es sind nicht Wenige, die mit ihrer Gesundheit oder gar mit dem Leben bezahlen mussten. Oft wird an den Unglücksorten mit sogenannten Marterln, christlichen Bildtafeln, erinnert. Veitbauer erinnert sich an ein paar Situationen, in denen ihm beinahe etwas Schlimmeres passiert wäre, er dann aber doch immer Glück hatte. Einmal zum Beispiel, als er die Seilwinde per Funk bediente, um einen Stamm zum Traktor zu ziehen. Er hörte ein langes, lautes Surren, vielleicht ein Hubschrauber? Er schaute in den Himmel, um sicherzugehen. Und just in diesem Moment riss das Seil, das auf voller Spannung stand, und der 500 Gramm schwere Eisenhaken am einen Ende des Seils flog an seinem Kopf vorbei. So nah, dass er den Luftstoß an seiner Wange spürte. „Es ist schon gut, dass hin und wieder etwas Kleines passiert, dass man aus der Routine gerissen wird. Dann macht man wieder mal Pause, setzt sich hin und spekuliert. Dann ist man wieder vorsichtig.“ Als Jugendlicher sei ihm das Risiko im Wald noch nicht bewusst gewesen, heute jedoch wisse er: Ein fallender Baum hat ein unvorstellbares Gewicht, ein Stahlseil kann unerwartet reißen und die Motorsäge ist eine Waffe.

Warum also, trotz aller Gefahren, ist ihm die Waldarbeit so wichtig, warum kann und will er sich sein Leben nicht ohne vorstellen? Schließlich hat er genügend anderes zu tun: Die Gastwirtschaft, in der er als gelernter Koch am Herd steht oder mit der Steirischen Musik macht, die Ferienwohnungen, die Landwirtschaft, Jagd und Hege, denen er so leidenschaftlich nachgeht, oder im Winterdienst, wo er für schneefreie Straßen sorgt. Sein Einkommen hängt ja nicht allein vom Holz ab.

Zum einen möge er die Abwechslung, jede seiner Beschäftigungen genieße er. Den Wald ganz besonders, weil er da völlig frei sei, in Arbeits- und Zeiteinteilung. „Wenn ich heute nur drei Bäume fälle, dann reicht mir das auch.“ Zum anderen verspüre er eine starke emotionale Bindung zur Heimat, zur Landschaft und zum Wald, die einfach da sei und die ihn erkennen lasse, wie essenziell seine Arbeit ist. Für ihn selbst, weil es ihm guttue, oft allein zu sein, weil er im Wald immer Antworten finde. Für die Natur und für die Region, weil sich jemand um den Wald kümmern müsse und weil die Tradition einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung im Lamer Winkel weitergeführt werden solle. Gerade jetzt, wo sich immer weniger dafür begeistern.

Andreas könne aber die Leute verstehen, die Wald, Landwirtschaft oder andere Mittelstandsbetriebe aufgeben. Er sehe die Gründe dafür ganz deutlich: Einerseits in der Politik, die es den Selbstständigen durch immer mehr Bürokratie und Richtlinien erschwert, weiterzumachen. Klar brauche es Regeln, aber erstens nicht zu viele und zweitens keine unsinnigen. Diese Erfahrung musste sein Berufsstand schon öfter machen, zum Beispiel als der Anbau von Altersklassenwäldern, in denen ein Kreislauf von Pflanzen, Pflegen, Kahlschlag und erneutem Pflanzen stattfindet, in Hanglagen angeordnet wurde. Traue man den Bauern mehr Eigenverantwortung zu, gäbe es vielleicht noch mehr von ihnen. Auch der Verdienst spiele eine entscheidende Rolle, schließlich kann es sich Keiner leisten, mit der Arbeit ein Draufzahlgeschäft zu betreiben. Wegen der hohen Besteuerung des Ertrags, wegen des niedrigen Holzpreises. Andererseits seien auch die modernen Ansprüche und Lebensstandards nur schwer mit dem Leben eines Waldbauern zu vereinbaren.

Andreas vermisst die Wertschätzung für kleine Familienbetriebe, egal ob in der Heimat oder andernorts. Der Eifer nach Ruhm und Anerkennung mache Leute und Welt krank. Dabei sei doch Zufriedenheit das Wichtigste. Und die könne er nur bei den Allerwenigsten erkennen, die Besinnung auf den Moment, auf das, was da ist und auf das, was man hat. Genau das, was ihm im Wald so leicht falle.

„Die Natur ist vollkommen, stimmt’s, Jack?“, sagt Andreas und streichelt das dunkel glänzende Fell seines Hundes Jack. Der Wald säubert Wasser und speichert es, ist Lebensraum für Pflanzen, Tiere, Pilze. Und Andreas? Er darf Teil haben daran, Teil sein im Wald.