„Ich bin kein Weltretter“

Koppenbauer

Wolfgang Koller, Koppenbauer Senior, ist Waldbauer. Er führt eine ökologische, nachhaltige und klimaresistente Bewirtschaftungsform weiter, die in den Wäldern des Lamer Winkels schon seit Jahrhunderten so betrieben wird. Trotzdem ist er sich sicher: Das reicht nicht. Es ist viel zu tun, vor allem Überzeugungsarbeit, um die Nachhaltigkeit der Wälder und den Berufsstand der Waldbauern zu sichern.

Koppenbauers Wald ist ein Plenterwald. Wie lange er schon besteht? Dazu gibt es nichts Schriftliches, doch geht er in den Wald, sieht er es: Zwischen Sämlingen, gerade gekeimten Baumpflanzen, und einem 250 Jahre alten Baum stehen unterschiedlich hohe Bäume auf einem dichten, grün bewachsenen Boden und tragen volle Kronen. Das ist alles andere als ein kranker Wald, alles andere als ein Wirtschaftswald, der im Wechsel kahl rasiert und in Reih und Glied neu angepflanzt wird, alles andere als ein Wald, der erst seit gestern so bewirtschaftet wird. Typisch für den Lamer Winkel. Und doch ungewöhnlich für deutsche Wälder, von denen mehr als ein Viertel aus angepflanzten Monokulturen besteht und in denen vier von fünf Bäumen krankgemeldet sind.

Darüber ärgert sich Wolfgang Senior. Dass alles über einen Kamm geschert werde. Nur die Wenigsten seien darüber informiert, dass die Forstwirtschaft im Lamer Winkel anders ablaufe als in 98 Prozent der deutschen Wälder. Die Konsequenz: Wer sich nicht auskenne, sei grundsätzlich gegen eine Waldbewirtschaftung und dafür, dass der Mensch wirtschaftlich gesehen Abstand nehme zum Ökosystem Wald. Dabei ist beides vereinbar, Mensch und Natur. Und das ist am Koppenhof ganz deutlich zu sehen: Das Wohnhaus besteht aus Tannenholz, das im eigenen Plenterwald ausgesucht und gefällt wurde. Eine Hackschnitzelheizung sorgt für Wärme im Haus, indem sie Restholz verbrennt. Wolfgang ist Teil eines Wechselspiels, einer Symbiose. Der Wald als Wirt, der Forstwirt als Symbiont – für beide Teilnehmer von Vorteil.

Warum funktioniert das hier? Wie kann es sein, dass die Wälder im Lamer Winkel überwiegend aus gesunden Plenterwäldern bestehen und nicht aus Monokulturen, die weniger resistent sind gegen Klimaveränderungen, Krankheiten, Katastrophen, jedoch einen vergleichsweise schnellen und hohen wirtschaftlichen Ertrag versprechen? Die Antwort: „Nachhaltigkeit. Ein Begriff, den heute jeder benutzt und der ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammt.“ 1713 formulierte Hans Carl von Carlowitz den nach-haltigen Waldbau als einen, der eine dauerhafte und damit generationenübergreifende Nutzung des Wal-des gewährleistet. Er gilt damit als Schöpfer des Nachhaltigkeitsbegriffes. Als Synonym ist oft „Zukunftsfähigkeit“ oder „Enkelgerechtigkeit“ zu lesen. Die Waldbauern im Lamer Winkel sind es gewohnt, langfristig zu denken, zu planen, zu handeln. Schließlich mussten sie und ihre nachfolgenden Generati-onen schon immer vom Wald leben, zumal die Böden in der Gegend zu schlecht waren für die Landwirtschaft. Dabei sind sie geblieben, bis heute. Trotz etlicher staatlicher Empfehlungen und Anordnungen im 19. und 20. Jahrhundert. Woran das liegt? Koppenbauer zuckt mit den Schulter. „Dickköpfigkeit?“

Waldbau ist immer auch mit Politik, Gesetzen und Richtlinien verbunden. 1849 wurden die ersten „Wirtschaftsregeln für den Bayerischen Wald“ veröffentlicht. Hochlagen blieben Plenterwälder, Hanglagen sollten in Altersklassenwälder umgewandelt werden, in denen ein Kreislauf aus Pflanzen, Pflege und Kahlschlag stattfindet. Was Koppenbauer in der Politik vermisst, ist ein kontinuierliches Konzept, das benennt, wo wir stehen, und formuliert, wohin wir wollen. Und das sich nicht wie etwa die Modebranche leiten lässt von kurzfristigen Trends. Denn Trends seien nicht beständig, sie sollten kurzfristigen Erfolg bringen, seien nicht auf Zukunftsfähigkeit – das Grundprinzip der Forstwirtschaft – ausgerichtet. Er erinnert sich zum Beispiel an eine Zeit, in der Tannen als minderwertige, krankheitsanfällige Bäume angesehen wurden. Seit 40 Jahren schon kämpft er für das Image der Tanne: Der Borkenkäfer kann ihr nichts anhaben, als Pfahlwurzler stabilisiert sie die Waldbestände gegen Wind und der Trockenheit trotzt sie, indem sie Wasser und Nährstoffe aus den unteren Schichten des Bodens erschließt. „Das ist alles von Vorteil – gerade in der heutigen Zeit und gerade auch in Zukunft.“ Seine Begeisterung für die Tanne ist nicht zu überhören, wie frischverliebt schwärmt er von all ihren Superkräften. Und das ganz ohne rosarote Brille, denn er kennt auch die Eigenheiten der Tanne.: Zum Beispiel ihr Nasskern, der eine besondere Behandlung bei der Trocknung verlangt. Den nimmt er in Kauf.

Erstmals urkundlich erwähnt wurde der Koppenhof 1574. Wolfgang Seniors Vater, Kriegsgeschädigter, arbeitete zu viel und starb zu früh, mit 61. Er selbst war 17 Jahre alt. Zu dieser Zeit fuhr er viel Ski, arbeitete ein bisschen im Wald und dachte, es wäre noch Zeit, mindestens 10 Jahre. Plötzlich übernahm er Hof und Wald. Und seitdem kämpft er für den Wald und für die Region. Er weiß, wo er steht und wohin er will. Er weiß, wie viel Wald und Holz im Allgemeinen wert sind; als CO2-Speicher, Lebens-raum für Tier und Mensch, Baustoff und Energieträger. Er weiß, wie viel Wald und Holz speziell aus dem und für den Lamer Winkel wert sind; als regionaler, nachwachsender Rohstoff mit herausragender Qualität, die am feinjährigen Jahrringaufbau sichtbar ist; als Wirtschaftszweig, durch den Waldbauern-höfe und holzverarbeitende Betriebe wie Sägewerke, Zimmereien, Schreinereien und Holzbaubetriebe ihren Lebensunterhalt bestreiten; als ästhetischer Anziehungspunkt für Touristen. Denn Nachhaltigkeit findet auf mehreren Ebenen statt: ökologisch, sozial und wirtschaftlich.

Wolfgang ist ein Macher, obgleich er selbst sich wahrscheinlich nie als einer bezeichnen würde. Seine Familie und er machten ja nur ihr Ding. Seit über 40 Jahren ist er Vorsitzender der lokalen Waldbauernvereinigung, einem Verein, der sich um die Belange der Forstwirte und Waldbesitzer kümmert, Rah-menverträge mit der Forstwirtschaftlichen Vereinigung aushandelt, versucht, gerechte Holzpreise zu verhandeln und Kontakte zu Abnehmern knüpft. In den 90er Jahren war er maßgeblich an der Gestaltung des Holzverbunds im Rahmen der Ökoregion Lamer Winkel beteiligt, um als Region eine Vorbildfunktion in Sachen Nachhaltigkeit einzunehmen. Denn nur wer mit gutem Beispiel vorangehe, könne Andere überzeugen.

Ob es ein Geheimrezept gibt, um mit gutem Beispiel voranzugehen? Um rundum konsequent zu sein? „Wir haben nichts Besonderes geschaffen. Wir haben einfach so gehandelt, wie es aus unserer Sicht vernünftig ist. Ich bin kein Weltretter. Ich versuche nur, unseren Planeten bewohnbar zu halten“, so Koppenbauers bescheidene Antwort. Dabei wurde sein Optimismus und sein Idealismus nicht selten auf die Probe gestellt, er musste Widerstandsfähigkeit und Durchhaltevermögen beweisen. Zum Beispiel bei der Gründung der Osserwärme, einer Gesellschaft mit Wolfgang Koller als Geschäftsführer, die für die Wärmeversorgung des Lamer Hallen- und Freibades, des nahegelegenen Bauernhofs in der Gingl-mühle und ab Herbst 2023 auch für die Lamer Grund- und Mittelschule zuständig ist. Geheizt wird, für Koppenbauer selbstverständlich, mit Hackschnitzeln aus der Region. Die Idee hatte er schon in den 90er Jahren, doch von Politik und Energiekonzernen gestellte Hindernisse verzögerten die Umsetzung. 2006 wurde der Bau endlich in Angriff genommen. Und die heutige Bilanz? Ein voller Erfolg: Seit Inbetrieb-nahme im Jahr 2009 werden jährlich ca. 250.000 Liter Heizöl eingespart und die Gesellschafter mit einer ansprechenden Verzinsung belohnt.

2020 baute er zwei Chalets, in denen Touristen ihren Urlaub verbringen. Eines davon ist aus reinem Borkenkäferholz. Mit dem Mythos, dass das Holz käferbefallener Bäume von minderer Qualität und deswegen weniger wert sei, wird hier aufgeräumt. Das zweite Haus, wie könnte es auch anders sein, wurde aus Tannenholz gebaut, dessen positive Eigenschaften zu Unrecht oft unterschätzt oder übersehen werden. Manchmal sei es besser, etwas zu zeigen statt darüber zu sprechen. Nur dann verständen es Außenstehende. So handhabte er es auch in den 1990ern, als seine Milchkuh- und Mastviehhaltung das Naturland-Zertifikat erhielt und er damit als einer der ersten im Lamer Winkel eine offizielle Bioland-wirtschaft betrieb – obwohl er dazu nicht viel verändern, sondern einfach so weitermachen musste, wie er es von seinen Eltern gelernt hatte; oder bei Waldbegängen, in denen er mit Interessierten durch das dichte Grün seiner Wälder stapft.

Koppenbauer Senior konzentriert sich nicht auf das Negative. Viel lieber hebt er hervor, was schon besser wurde, was jetzt gut funktioniert, worauf er ein bisschen stolz ist. Und doch werde er manchmal müde von diesem Spiel, Ideen zu haben, Menschen zu überzeugen und Gegenwind standzuhalten. Wa-rum er nicht aufgibt? Diese Frage stelle er sich gar nicht. Er sorge sich um den Wald und seine Zukunft. Waldbauer zu sein, sei eine Berufung, ein Privileg. Er ist sich sicher: „Es hat einen Sinn.“

Seine Familie sieht das genauso. Gemeinsam mit Frau Johanna, Sohn Wolfgang und den Töchtern Maria und Steffi, sind sie ein eingespieltes Team. Jeder übernimmt seine Aufgabe. So wie im Plenterwald. Mehrere Generationen und Individuen helfen zusammen, arbeiten in einem harmonischen Neben- und Miteinander. Der Wald als Vorbild.