Moijer

Mein, Dein, Unser

Auf rund 70 Prozent der Fläche im Lamer Winkel stehen Wälder, Staatswald und Privatwald. Die Waldbauern des Holzverbunds besitzen einen Teil davon, die einen mehr, die anderen weniger. Dafür sind sie verantwortlich und davon sind sie abhängig. Hermann Dachs, im Dorf bekannt als Mojer Hermann, ist kein Waldbauer, aber Privatwaldbesitzer. Zusätzlich verwaltet er Waldflächen auswärtiger Besitzer. Obwohl das nicht sein eigener Wald ist, pflegt er ihn jeden einzelnen Tag – aus Pflichtbewusstsein und aus Liebe zur Heimat.

Hermann Dachs, im Dorf bekannt als Mojer Hermann, besitzt acht Hektar Wald. Viermal so viel wie der durchschnittliche Waldbesitzer in Deutschland. Weniger als die Hälfte der Fläche, die dem durchschnittlichen Waldbesitzer im Lamer Winkel gehört. Und nicht einmal ein Prozent der Fläche, die der größte Waldbauer der Region innehat.

Seinen acht Hektar großen Privatwald bekam er 1989 von seinem Vater. Der hinterließ ihm obendrein eine Aufgabe. Jene Aufgabe, die schon Hermanns Vater und davor sein Großvater erledigt hatte. Die Aufgabe, 60 Hektar bzw. 180 Tagwerk Wald zu verwalten. Fremden Wald, dessen Besitzer fernab des Kontinents wohnen. Dazu gehört: Den Wald pflegen, ihn gesund halten, alte Bäume herausnehmen, junge Bäume unterstützen, Krankheiten eindämmen. Und richtig wirtschaften: Buchhaltung führen, Holz verkaufen. Das Geld geht an die Waldbesitzer, er selbst erhält pro Festmeter an verkauftem Holz einen Holzhauerlohn.

Die Waldbauern im Lamer Winkel führen die jahrhundertelange Tradition ihrer Vorfahren weiter und bewirtschaften ihre Wälder, indem sie dem Prinzip der Nachhaltigkeit folgen – ökologisch, ökonomisch und sozial. Schließlich wollten sie langfristig selbst davon profitieren, wenn gesunde Bäume heranwachsen, für die ein entsprechender Preis gezahlt wird, und sie ihren Nachkommen gesunde Wälder hinterließen. Eigentum verpflichtet, das wüssten alle Waldbauern, die – und das sind die meisten in der Region – sich nicht für eine Ausbildung zum Forstwirt entschieden haben, sondern durch den bloßen Besitz in ihre Forstkarriere gerutscht sind. Sie sähen sich in der Pflicht und der Verantwortung, die Waldbestände der Region zu pflegen. Das sei ihr Geschäft, ihr Alltag. Vielleicht nicht ihre DNA, aber mindestens ihre Identität.

Warum aber verschreibt Hermann seine Kraft und seine Zeit dem Wald? Fremdem Wald, der ihm nicht gehört? Als Schüler hatte er den Plan, Koch zu werden. Weil es keine freie Ausbildungsstelle für ihn gab, lernte er Maschinenbauer, wohnte und arbeitete in Cham, der 40 Kilometer entfernten Kreisstadt. Er wollte nach Hause, zurück nach Lohberg, zurück ins Paradies. Also nahm er einen Job als Bierfahrer beim Späth-Bräu, der lokalen Brauerei, an. 40 Jahre lang versorgte er die Region mit Osserbier, benannt nach dem Hausberg.

Lautet also Heimat das Stichwort? Die Heimat, in der Hermann seinen Vater schon als 13-jähriger Junge bei der Holzarbeit unterstützte und später jeden freien Tag, ob Wochenende oder Urlaub, im Wald verbrachte. Die Heimat, in der sich mittlerweile sein Rentenalltag im Wald abspielt. Die Heimat, die nicht nur ihm Heimat ist. Lohberg ist für ihn: das Paradies. Das sind die Wälder, die er sieht, wenn er nach vorne und hinten, nach links und nach rechts schaut. Und die sind für alle da. Sowohl für die Besitzer, die Hermann auf keinen Fall enttäuschen möchte, als auch für alle anderen, die raus gehen wollen, wandern, ein- und ausatmen. Deswegen sollen sie da und gesund bleiben. Dafür zu sorgen, ist Hermanns Aufgabe. Weil er sie angenommen hat.

Und weil sie ihm Spaß macht. Er geht gerne in den Wald, hat Freude an der Holzarbeit und an seinem Unimog. Aus Interesse probierte er in seinen Anfangszeiten als Waldbesitzer waldbauliche Methoden aus, die nicht ganz der Tradition im Lamer Winkel entsprechen. Er meldete sich für ein Programm an, das vom Landkreis ausgeschrieben wurde, das die Pflanzung von Mischwäldern förderte. Weil Hermann schon ein paar Lichtungen in den Wäldern hatte, die durch Käferbefall entstanden waren, hielt er es für eine gute Idee, Buchen anzupflanzen und einen gesunden Mischwald aufzubauen. Also stellte er einen Antrag, woraufhin der zuständige Förster kam, um sich mit ihm gemeinsam seinen Wald und die

betroffenen Stellen anzuschauen und die Flächen auszumessen. Hermann war verdutzt, er fragte den Förster, wozu er das jetzt ausmesse. Schließlich würde er die Buchen ja nicht alle auf einem Haufen anpflanzen, sondern verteilen. Hier 10, dort 20. Man müsse schon ein paar zusammenpflanzen, sodass hohe, gerade Bäume und nicht bloß Sträucher wüchsen. Jedoch könnte man bei 500 Buchen an einem Ort nicht mehr von einem Mischwald sprechen. Dazu erhielt er einen Bepflanzungsplan, der ihm anzeigte, mit welchem Abstand und in welchen Reihen er die Buchen zu pflanzen hätte. Hermann war nicht überzeugt, doch er vertraute, ließ sich darauf ein und erhielt dafür Geld. „Das war für die Katz“, so Hermanns Fazit. Daraus konnte er eine Lehre ziehen: Die Natur wisse selbst am besten, was zu ihr passt. Die Arbeit des Pflanzens könne er sich sparen – das, was einfliegt, wachse besser, sei klimaresistenter. Man müsse ihm nur Platz geben zum Wachsen.

Nichtsdestotrotz gehörten Wald und Mensch zusammen, müssten die Holzhauer eingreifen, um die Zukunft des Waldes zu sichern. Der Lamer Winkel nehme, metrisch betrachtet, eine Sonderstellung ein: In nächster Nähe befindet sich der Nationalpark Bayerischer Wald, in dem sich die Natur seit den 1970ern komplett selbst überlassen wird und keine Fällungen stattfinden. Seither breitet sich der Borkenkäfer aus, nicht mehr nur im Nationalpark selbst. Zwar wurden Schutzzonen miteingeplant, die sich um die Naturzonen herum befinden und in denen zum Schutz der angrenzenden Privatwälder der Borkenkäfer bekämpft werden solle, indem befallene Fichten gefällt werden sollen. Waldbauern im Lamer Winkel, so auch Hermann, kreiden dem Staat klar an, dass er sich nicht genug um seine Wälder kümmere. Der Borkenkäfer habe leichtes Spiel, er habe sich im Nationalpark so ausbreiten und vermehren können, dass er überhand genommen und schon lange in den Privatwäldern Einzug gehalten habe. Eine Katastrophe für die Forstwirte. Manche sähen keine Chance, ihm Herr zu werden.

„Manchmal bin ich an der Grenze und denke mir, ich mag nicht mehr. Wir stecken unsere ganze Kraft in die Käferbekämpfung. Wir helfen zusammen, jeder hilft an der Stelle, wo er gebraucht wird, und trotzdem wirkt es, als ginge nichts voran. Der Borkenkäfer hat sich zu stark ausgebreitet“, erzählt Hermann. Egal wie groß der Wille sei – die Woche habe nun mal nur sieben Tage. Und die Zeit drängt. Das Landratsamt besteht darauf, dass befallene Käferbäume innerhalb von 14 Tagen aus dem Wald befördert müssen. Ansonsten werden Holzhauer geschickt, die der Waldbesitzer zu bezahlen hat. Dabei wüssten die Waldbauern selbst am allerbesten, wie schnell es gehen müsse. Hermann wird älter, halt gesundheitliche Probleme, ist nicht mehr so belastbar wie in jungen Jahren. Trotzdem sei es keine Option, der Waldarbeit den Rücken zu kehren. Stattdessen suchte er sich Hilfe, jemanden, der mit ihm in den Wald geht. Um die Borkenkäferplage zu beenden. Doch ein Ende ist lange nicht in Sicht. Der Klimawandel und die trockenen Sommer, die er bringt, erleichtern dem Schädling die Arbeit und erschweren sie den Waldbauern.

Sie bereitet Hermann dennoch Freude, die Arbeit im Wald. Und alles, was dazugehört: 2010 stellte er zusammen mit Freunden ein Gipfelkreuz am Bramersbacher Platz auf, einer großen Lichtung auf 1000 Metern Höhe, im Wald, der ihm anvertraut wurde. Noch in den 50er Jahren passte ein Hüter dort oben auf Jungvieh auf und verbrachte so seinen Sommer in einer kleinen Hütte. Hermann brachte sie auf Vordermann und verlieh ihr einen neuen Zweck: Jeder, der vorbeikommt, darf Platz nehmen, sich ein oder ein paar Bier herausnehmen und im Gegenzug eine kleine Spende in der Bierkasse hinterlassen. Ein paar Meter weiter errichtete er eine Holzhauerkapelle mit einer Figur des Heiligen Simon, dem Schutzpatron der Holzhauer. „In Gedenken an verstorbene Holzhauer und für die anderen, die draußen sind im Wald, dass sie wieder gesund heimkommen.“

Acht Hektar Privatwald. Das mag im Vergleich zu den Flächen anderer Waldbesitzer im Lamer Winkel wie eine Kleinigkeit klingen, ein kleines Stück vom Kuchen, das Hermann abbekommt und um das er sich kümmert. Für Hermann aber ist der Wald kein Kuchen, der sich aufteilen lässt. Vom Wald hat jeder was – ob er ihn besitzt oder nicht.