Mit dem Wald aufgewachsen,

mit dem Wald

alt geworden

Uire Sepp

Josef Glasschröder, der Uire Sepp, ist 83 Jahre alt. Er geht in den Wald, Tag für Tag. Er beschreibt seine Erinnerungen an Zeiten mit Zweimann- statt Motorsägen, mit Pferdeschlitten statt Traktoren, mit Trift statt Holztransportern. Ein Rückblick auf 70 Jahre Waldarbeit.

1940er

1940 wird Josef Glasschröder in Sommerau geboren, am Uire-Hof – deshalb ist er der Uire Sepp. Er ist das Zweite von vier Geschwistern. Seine Familie ist im Besitz von streifenförmigen Waldstücken, die überall verteilt sind, zum Beispiel in Richtung Kleiner Arbersee.

1950er

Mit 13 Jahren geht er das erste Mal in den Wald. Von da an rückt er regelmäßig mit seinem Vater oder seinem älteren Bruder aus. Sie gehen immer mindestens zu zweit in den Wald, zwei Männer oder Jungen. Für die Frauen gibt es am Hof genügend andere Arbeit, im Haushalt, auf den Feldern und mit den Viechern. Frühmorgens spannen die Männer die Pferde ein, um sieben Uhr marschieren sie mit Werkzeug und Brotzeit im Gepäck von Zuhause los.

Im Wald und beim ausgesuchten Baum angekommen, sägen sie zuallererst eine Fällkerbe, den sogenannten Schrot auf die Seite des Stammes, wo er hinfallen soll. Die Einkerbung soll einen Winkel von ca. 45° haben, die Unterseite soll dabei möglichst gerade sein. Das wird mit der Hogga (Axt) gemacht. Um die Fallrichtung genau einschätzen zu können und eventuelle Hindernisse zu erkennen, setzt man sich in die Kerbe hinein und schaut nach vorne. Passt die Richtung, wird geschnitten. An der gegenüberliegenden Seite der Einkerbung setzen sie die Josepheså (Hobelzahnsäge, Zweimannsäge) an. Die wird zu zweit bedient. An den beiden Enden der Säge befindet sich jeweils ein Griff, den ein Mann festhält. Dann wird die Säge abwechselnd in die eine und in die andere Richtung gezogen, um den Stamm abzuschneiden. Dazu bedarf es Muskelkraft, guter Zusammenarbeit und ganz viel Übung. In den Schnitt werden Keile gesetzt und immer weiter nachgeschlagen. Wie lang das Ganze dauert, kommt auf die Dicke des Baumes an – das kann schon eine Stunde dauern. Wenn der Baum dann liegt, wird er gnast (entastet).

Der Stamm bleibt liegen, bis er versteigert wird. Jeder Waldbauer hat eine Holzliste mit seinen gefällten Bäumen. Die einzelnen Listen werden zusammengetragen und an die Sàgla (Sägewerksbesitzer) weitergegeben.  Im Herbst, meistens im Oktober, treffen sich die Waldbauernvereinigungen mit den Sàglan im Wirtshaus, die das Holz ersteigern können, das die richtige Größe für ihren Bedarf im Sägewerk hat. Dann kommt der Sàgla zum Waldbauer, schaut sich die Bäume an und sagt ihm, in welchen Längen er die Stämme brauche. Meistens sind das 4,50m.

Um die Bäume aus dem Wald zu transportieren, ist man auf die Kraft der Rosse angewiesen. Im Oktober oder November, bevor der Schnee kommt, bringt man die Bäume auf ein Gläger (Geläger, Lagerplatz). Hat es genug Schnee, so spannt man sie an einen Schlitten an und fährt sie nach unten. Wenn die Pferde ganz schnell laufen, macht es dem Uire Sepp Spaß, auf dem Schlitten nach unten zu fahren.

In den Wäldern Richtung Kleiner Arbersee nutzt man das Transportmittel der Trift. Dabei werden die Bäume mit Pferdeschlitten zum Weißen Regen gebracht und dort hineingesetzt. Im Frühjahr, wenn der Schnee schmilzt, stauen sich im Kleinen Arbersee große Wassermengen an. Wird das Wehr am See geöffnet, so läuft das Wasser in den Weißen Regen und schwemmt das Holz ins Tal. Die Sàgla, die ihre Sägewerke alle am Regen zwischen Lohberg und Kötzting hatten, fischten ihre Bäume – ein paar hundert Stück – heraus. Jeden Tag war ein anderes Sägewerk an der Reihe.

1960er

Mit 23 Jahren kommt der Uire Sepp nach Schwarzenbach, auf den Hof seines kinderlosen Onkels und dessen Frau. Er ist stolz, einen eigenen Hof zu bewirtschaften. Doch seine Arbeit unterscheidet sich kaum von der, die er zuvor mit seinem Vater und seinen Brüdern leistete – bis er sich eine Motorsäge anschafft und damit die Josepheså ablöst. Die setzt er an und nach nicht einmal 10 Minuten ist der Baum gefällt.

In den 60ern wächst außerdem der Trend mit den Fichtenmonokulturen. Der Staat empfiehlt einen Kahlhieb, also die vollkommene Abholzung des Waldes, und im Anschluss eine neue Anpflanzung. Die Waldbauern im Lamer Winkel halten davon nicht viel. Weil sich ihre traditionsreiche Plenterwirtschaft bewährt hat. Vielleicht auch, weil sie sich nicht gerne etwas vorschreiben lassen. Trotzdem probieren sie es vereinzelt aus. Auch der Uire Sepp pflanzt an kleinen Fleckchen Fichtenmonokulturen an.

1970er

1970 kauft er sich seinen ersten Bulldog, einen gebrauchten für 15.000 Mark. Das ist zwar eine Menge Geld, jedoch wird auch für Holz ein gut Preis bezahlt. Der Traktor ist eine enorme Erleichterung: Zum einen sparen sich die Holzhauer das lange Wandern und mühsame Schleppen, zum anderen zeigt er auch durch die Seilwinde seine Vorzüge. Wurde ein Baum gefällt, wird er mit der Seilwinde zum Traktor gezogen, die mit einem Hebel am Bulldog manuell bedient wird.

Auch der Nationalpark im unteren Bayerischen Wald ist ein großes Thema, bevor, während und nachdem er am 07. Oktober 1970 eröffnet wird. Nicht nur diejenigen Waldbesitzer, deren Grundstücke an den Nationalpark angrenzen, protestieren. Auch der Uire Sepp schimpft, so wie etliche andere Waldbauern. Sie haben Bedenken wegen des Borkenkäfers, der sich nicht nur auf benachbarte Bäume verbreitet, sondern bei seinem Flug große Strecken überwinden und damit weitläufige Gebiete befallen kann.

Der Nationalpark hat den Anspruch, die Natur Natur sein zu lassen. Naturschützer fänden es spannend und wichtig, die Entwicklung eines Waldes zu sehen, in den der Mensch nicht eingreift. Trotzdem sei es den Waldbauern zufolge mindestens genauso wichtig, ökologisch und nachhaltig bewirtschaftete Wälder zu haben. Dabei gehe es nicht nur darum, dass die Forstwirte ihren Lebensunterhalt bestreiten könnten, sondern um die Zusammenarbeit von Mensch und Natur, die die Gesundheit und Beständigkeit des Waldes gewährleiste.

1980er

Großes Umweltthema der 80er Jahre, nicht nur im Lamer Winkel sondern in ganz Westeuropa und Nordamerika, ist der saure Regen. Beim Verbrennungsvorgang fossiler Brennstoffe gelangen Chemikalien in die Atmosphäre, die zu säurehaltigen Schadstoffen reagieren und dann wiederum als saurer Regen auf die Erde fallen. Das hat negative Auswirkungen auf Wachstum und Vermehrung von Tieren und Pflanzen. Man geht davon aus, dass der saure Regen die Ursache für das Waldsterben der 80er Jahre ist, mit dem das häufige Auftreten von Krankheitserscheinungen an Bäumen gemeint ist.

 Daraufhin wird gekalkt. Mal mit Hubschraubern, die den Kalk von oben auf die Wälder rieseln lassen; mal wird der Kalk vom Boden aus mit Blasgeräten in die Wälder gesprüht. Dadurch erhält der Boden wichtige Nährstoffe, die die Gesundheit der Wälder fördern.

1990er

Früher musste der Uire Sepp einen Hebel am Traktor bedienen, seit den 90ern hat er den Funk, mit dem er die Seilwinde auch aus der Ferne steuern kann. Er kann also in der Nähe des Baumes stehen, Baum und Traktor gleichzeitig im Blick haben, mit dem Baum mitgehen und das Seil bequem mit dem Funk ziehen. Nun kann er reagieren, noch bevor sich der Baum in einer Wurzel oder einem Stein verfängt; passierte dasselbe früher, so flog das Seil und er musste ständig hin- und herlaufen, um es wieder am Baum zu befestigen.

 

2000er

Anfang der 2000er tritt er dem Holzverbund bei. Der Holzpreis ist schon längere Zeit bei nur ca. 60 Euro. Verkauft er seine Bäume aber über den Holzverbund, so bekommt er ungefähr 20 Euro mehr dafür. Diese zusätzlichen 20 Euro muss er sich aber auch verdienen, schließlich müssen die Bäume im Winter und während der Mondphasen, also in relativ kurzer Zeit gefällt werden. Liegt viel Schnee, so ist es besonders anstrengend: Er braucht ein geeignetes Fahrzeug, er muss sich den Weg zum Baum ausschaufeln und manchmal klebt der Schnee, sodass er den Baum nicht so einfach mit der Seilwinde ziehen kann – das Seil reißt. Aber das sei nun mal das beste Holz.

Heute

Heute werden die Waldbauern vom Borkenkäfer getrieben, „dem schwarzen Lump“, wie der Uire Sepp ihn nennt. Alles muss schnell gehen. Ist er mit einem Käfernest fertig, findet er schon wieder drei neue. In den Fichtenmonokulturen breitet sich der Schädling besonders stark aus. Die traditionell und ökologisch bewirtschafteten Wälder hingegen leisten dem Käfer deutlich mehr Widerstand.

Der 83-jährige geht in den Wald, Tag für Tag. Manchmal braucht er für einen Baum mehrere Stunden – sein Kreuz, die Beine. Seine Motorsäge benutzt er manchmal als Gehstock, um übers Totholz drüberzusteigen. Er sagt, die meisten jungen Leute hätten einen Beruf mit einem geregelten Einkommen, und geregelten Arbeitszeiten. „Dann müssen eben die Alten herhalten.“